Klimabündnis kritisiert Marburger Klimapolitik
Ein Bündnis von Klimaschutzorganisationen hat einen offenen Brief an die Vertreter der Marburger Stadtpolitik verfasst und am 20. Juli 2022 Bürgermeisterin Nadine Bernshausen übergeben (die Oberhessische Presse berichtete). Der Brief ist u. a. auf der Website von "Parents for Future" Marburg nachzulesen (https://parentsforfuture-marburg.de/news/2022-07-26-bilanz-der-marburger-klimapolitik-drei-jahre-nach-dem-beschluiss-zum-klimanotstand/). Die Verfasser:innen bemängeln darin, daß seit der Ausrufung des Klimanotstandes in Marburg am 28. Juni 2019 keine ausreichenden Anstrengungen unternommen wurden, um die angestrebte Klimaneutralität der Stadt Marburg 2030 zu erreichen. Dies beginne schon damit, daß das Ziel der Klimaneutralität überhaupt nicht hinreichend definiert sei. Dazu merken wir folgendes an:
Wir unterstützen die Forderung, sofort äußerste Anstrengungen zur Eindämmung der immer offensichtlicher auf uns zurollenden Klimakatastrophe zu unternehmen. Dies ist nichts Geringeres als ein Gebot des Überlebens.
Wir schliessen uns der Aussage an, daß die in Marburg unternommen Anstrengungen halbherzig erscheinen; mehr noch, wir meinen, daß sie kaum mehr als deklamatorischen Wert haben. Unser Eindruck ist, daß sich Klimaschutzaspekte hauptsächlich in ausufernden Entschuldigungen und plakativen, aber folgenlosen Absichtserklärungen niederschlagen. Die realen politischen Entscheidungen stehen nach unseren Beobachtungen in deutlichem Widerspruch zu den angegebenen Zielen.
Unsere volle Zustimmung findet die Feststellung der Verfasser:innen, daß der Marburger Beitrag zum aktuellen Regionalplanentwurf eine "erschreckende Fortsetzung neuer Flächenversiegelung in der freien Landschaft" darstellt und "Elementare Grundsätze einer klimakonformen Siedlungspolitik [...] bedenkenlos über Bord geworfen" werden.
Dies ist nicht nur eine vernichtende Feststellung für eine Kommune, die vor drei Jahren den Klimanotstand ausgerufen hat; es ist zugleich auch unser wesentlicher Kritikpunkt an der Klima- und Bodenschutzpolitik im Allgemeinen und insbesondere in Marburg.
Bürgermeisterin Bernshausen, die sich in ihrer Funktion primär angesprochen fühlen sollte, äußerte, daß sie "offen für die Forderungen des Bündnisses sei" und den "dringenden Wunsch" verstehe, "dass wir in der Klimapolitik weiter vorankommen". Nichts Geringeres erwarten wir von der grünen Bürgermeisterin einer Stadt, die sich seit drei Jahren im Klimanotstand sieht - und zwar ohne, daß man sie eigens dazu auffordern muss.
Die Einlassung der Klimaliste war erneut enttäuschend. Ihr Vertreter Salomon Lips sah den Brief als "Rückenwind" und erklärte, er sehe sich "gestärkt, weil wir genau für diese Position arbeiten". Das wäre zu wünschen, steht aber im Widerspruch zu der Tatsache, daß es auch die Klimaliste war, die der Stellungnahme der Stadt Marburg zum Regionalplanentwurf mit ihren nicht nachvollziehbaren Flächenforderungen (alleine 56 ha neue Gewerbeflächen trotz über 13 ha Leerstand im Stadtgebiet) zugestimmt hat. Was immer das Motiv dafür gewesen sein mag: es ist vollkommen klar, daß auf diese Weise kein Klimaschutzziel erreicht werden kann. Und auch der Versuch, den offenen Brief zum Lob umzudeuten, muss fehlschlagen.
Dieser offene Brief ist keineswegs ein Lob für irgendwen, sondern ein Tadel und eine nachdrückliche Aufforderung, jetzt endlich zu handeln, um das selbst gesetzte Ziel zu erreichen.
Wir erwarten natürlich nicht, daß dieser offene Brief schon bei Übergabe an Ort und Stelle durchschlagende Wirkung entfaltet. Wir müssen trotzdem darauf bestehen, daß nach drei Jahren Absichtserklärungen jetzt messbare Taten folgen. Ein glaubwürdiger Schritt wäre es, die mit dem Klimaschutzgedanken unvereinbare Haltung der Parteien zu fortgesetzter, massiver Flächenversiegelung aufzugeben.